Presse 2015


10. November 2015

Frankfurt-Seckbach

Der Herr der Äpfel

"Ein Jona Gold ist Zuckerwasser in der Schale", sagt Werner Nussbaum. Und auch anderen Apfelsorten aus dem Supermarkt kann der Obstbau-Experte vom hessischen Pomologenverein wenig abgewinnen. Nussbaum kämpft um die Streuobstwiesen und warnt: "Uns bricht der Bestand weg".

Draußen, auf dem Hof des Mainäppelhauses in Seckbach, kriegt Werner Nussbaum diesen Blick. Wie ein Adler späht er zwischen die Zweige - und stößt dann zielgenau auf einen hellgelben Apfel zu. Rupft ihn ab und reicht ihn weiter: "Hier, der teuerste Apfel der Weltgeschichte. Weißer Winterkalvill."

So teuer sieht er gar nicht aus. Aber wie der schmeckt! Ein bisschen nach Erdbeere sogar, knackig, frisch. Was hat es auf sich mit der Frucht? Den Weißen Winterkalvill, berichtet der Landessprecher des hessischen Pomologenvereins, ließ sich einst der französische König liefern - für drei Reichsmark das Stück. Nussbaum: "Das wäre heute der Gegenwert eines Mittelklasseautos." Und da war der Sonnenkönig nicht der einzige. Diverse Höfe schworen auf die Liebhabersorte, einzeln in Seidenpapier gewickelt. Ob ihnen damals schon der hohe Gehalt an Vitamin C und Säure bewusst war?

Das darf bezweifelt werden, ebenso wie bei den Supermarktkunden von heute, die sich zufrieden geben mit den paar Apfelsorten in den Regalen. Dass diese Kandidaten dort liegen, Granny Smith, Elstar, Jona Gold, Gala, Braeburn, Golden Delicious, das hat fast ausschließlich mit den Bedürfnissen des Handels zu tun, nicht mit jenen der Kundschaft. Diese Äpfel lassen sich gut lagern. Aber der Geschmack? Und der Nährwert?

Streuobstwiese ist Natur und meistens Bio.
Streuobstwiese ist Natur und meistens Bio.
Foto: Rolf Oeser

Die Pomologen, also die Obstbau-Gelehrten, sind da ganz klar in ihrer Aussage: "Ein Jona Gold ist Zuckerwasser in der Schale", sagt Nussbaum, wann immer er die Gelegenheit dazu hat. Also süß, aber sonst nichts. Und: "Der Gala ist die größte Frechheit überhaupt. Süß, saftig, aber ohne Säure. Langweilig!" Dagegen die alten Sorten, die noch nicht auf Haltbarkeit gezüchtet worden sind: "Wenn ich so einen Schönen aus Nordhausen habe!" Das ist der Name der Apfelsorte: Schöner aus Nordhausen. "Als ich das letzte Mal in so einen reingebissen habe - ich dachte, ich falle vom Glauben ab. Was für ein Geschmack!"

Werner Nussbaum ist 61 und seit frühester Kindheit mit Äpfeln vertraut. Daheim in Altenmittlau pflegte sein Großvater eine Streuobstwiese und brachte den Enkeln bei, worauf es beim Apfel ankommt: "Den könnt ihr jetzt essen", sortierte der Opa die gelagerten Schätze im Keller, "der hier ist in zwei Wochen so weit und der hier kann liegen bis Weihnachten." Ein Wissen, das bei Stadtkindern inzwischen so selten geworden sein dürfte wie die Kartoffelreibe zum Festschrauben am Küchentisch.

Um das Taschengeld aufzubessern, zog der junge Kenner damals los mit seinen Kumpels und dem Hawazuzie. Nussbaum blickt auf. "Weißte, was ein Hawazuzie ist? Ein Handwagen zum Ziehen." Der wurde mit Äpfeln bis über den Rand gefüllt, und ab in die Kelterei. 16 Mark gab es für den Doppelzentner, manchmal 16,50 Mark. Und damit sind wir mittendrin in den Problemen der modernen Streuobstwiesenbewirtschaftung. Heute, kritisieren die Pomologen, gebe es acht bis zehn Euro für den Doppelzentner. Das ist derselbe Lohn - 50 Jahre später. Und dafür muss der Mensch ziemlich hart arbeiten, Bäume schütteln, Äpfel auflesen, Äpfel transportieren.

Der Obstkundler war in den vergangenen Jahren viel unterwegs am Berger Hang. Er hat da Bäume gezählt im Auftrag des Frankfurter Umweltamts. Mit dem Laptop, einem speziell entwickelten Computerprogramm und dem Luftbild der Stadt ist er losgezogen und hat alles genau festgehalten.

Er geht zu jedem einzelnen Baum hin? "Ich stehe da an jedem Baum dran." Er notiert jeweils den Sortennamen, das Alter, bewertet den Pflegezustand auf einer Skala von 1 bis 5, schreibt Bemerkungen dazu, etwa über Nisthöhlen oder Kauzröhren. Gerade läuft die Auswertung, in ein paar Wochen soll das Werk fertig sein.

Schon jetzt kann Nussbaum sagen, dass im gesamten Gebiet an die 11 000 Bäume stehen: 4700 am Berger Südhang, knapp 2000 am Nordhang, rund 4000 auf Maintaler Gebiet. Und noch eines kann er bereits verkünden: "50 Prozent davon sind überaltert. Uns bricht der Bestand weg." Seit den 80er Jahren sei praktisch nichts nachgepflanzt worden - "in 20 Jahren kommt die ganz große Lücke, dann kriegen die Keltereien Probleme". Wenn nichts passiert.

Passieren müsste aus Sicht der Fachleute dreierlei. Erstens: nachpflanzen. 100 000 Apfelbäume im Jahr. Zweitens: Junge Leute dafür begeistern, die Bestände zu pflegen. Da helfen Initiativen wie die vor drei Jahren (natürlich von Werner Nussbaum) gegründeten "Streuobstfreunde Schöneck". Und drittens: rauf mit den Preisen fürs Streuobst. "Wir müssen auf 20 Euro kommen", sagt Nussbaum, "dann werden die Äpfel auch wieder abgemacht, weil es sich lohnt." Und nicht als Konzentrat aus China gekauft.

Person & Projekt
Werner Nussbaum, 61, ist gelernter Gärtner und Sprecher des hessischen Pomologenvereins - das sind die Obstbaumkundler.
Er wurde vom Frankfurter Umweltamt beauftragt, Zahl und Zustand der Bäume in Hessens größtem zusammenhängenden Streuobstgebiet zu erkunden, am Berger Hang. Voraussichtlich Anfang Dezember wird das Werk fertig sein.

Die ersten Kelterer hätten schon die Zeichen erkannt und auf 15 Euro pro Doppelzentner erhöht. Sie könnten aber auch 25 zahlen, "ohne dass das Produkt teurer wird", sagt der Pomologe. So groß sei heute die Gewinnspanne - beim Verarbeiter. Auf der Messe Europom fragte Nussbaum bei der Naturkostsafterei Voelkel nach, wie viel sie bezahlt. 25 Euro, erfuhr er, für Bio-Ware sogar 35. "Und Streuobst ist bio, da spritzt niemand." Ein guter Apfelsaft, urteilt der gelernte Gärtner, sei 2,80 Euro pro Liter wert. "Aber wenn da draufsteht: aus Konzentrat, lass die Finger davon."

"Der Apfel ist ja nix Deutsches", sagt Werner Nussbaum. Schweigt. Guckt. Und fragt: "Wo issen der überhaupt her?" Tja, nun ... "Aus dem tiefsten Kasachstan kommt der. Wenn du dir das anschaust: Apfelbäume, so weit das Auge reicht - und alles verschiedene Sorten." Eine der vielen verblüffenden Eigenschaften des Apfels ist es ja, dass die Frucht schon das Erbgut für etwas Neues im Kern trägt, für eine andere Sorte als der Stamm, von dem sie fällt.

Keine Vielfalt: Supermarktäpfel.
Keine Vielfalt: Supermarktäpfel.
Foto: dpa

Und auch wenn der Apfel ein Zuwanderer war, hat er es doch in Deutschland auf 2500 namentlich bekannte Apfelsorten gebracht. Von denen landen zehn im Supermarkt. Warum so wenige? "Weil die anderen keiner mehr kennt." Den Gravensteiner etwa mit seinem Duft und seinem Aroma, den Geheimrat Dr. Oldenburg, Minister Hammerstein, Schieblers Traubenapfel, Krügers Dickstiel - ja, so schön können alte Apfelsorten heißen. Oder Cox Orange. Alles Äpfel mit Charakter, denen man noch nicht die Säure und damit den Charakter weggezüchtet habe. "Der größte Fehler", sagt Nussbaum. "Die Säure und die Polyphenole darin sind das, was den Apfel ausmacht." Und das, was den Apfel verträglich macht: Allergiker, die von Supermarktäpfeln unerträgliches Rachenjucken bekommen, haben mit den alten Sorten häufig gar keine Probleme.

"Geht zu den Händlern, verlangt die alten Sorten", sagt Nussbaum. Obstbauern wie etwa Andreas Schneider in Nieder-Erlenbach reagierten durchaus auf Wünsche. Der Berlepsch beispielsweise kehrt vielerorts zurück, ein Apfel mit enorm viel Vitamin C. Wenn die Kunden einen Willen entwickeln, vielleicht erwächst dann ja wieder etwas Nachhaltiges aus den Streuobstwiesen in Frankfurt und Umgebung.

Darum geht es dem Pomologen auch mit seiner Obstbaumkartierung. "Das Wichtigste ist, herauszuarbeiten, was wir an Potenzial haben, was wir nachpflanzen müssen." Von der Sorte Oberdiecks Renette hat er im ganzen Untersuchungsgebiet nur noch einen einzigen Baum gefunden. Gerade rechtzeitig, um auf Werner Nussbaums Liste der empfehlenswerten Nachpflanzungen für Rhein-Main zu kommen.

Doppelseitiger Artikel aus der FR mit Text und Bilder im PDF-Format.

Thomas Stillbauer, Redakteur, Frankfurt/Rhein-Main © 2015 Frankfurter Rundschau

Artikel vom 10. November 2015,
©2015 Frankfurter Rundschau


4. November 2015

Weil am Rhein-Märkt

Von Christkindlern und Polizeiäpfeln

Streuobsttag in Märkt unterstreicht, dass Pflege der Streuobstwiesen im Sinne der Artenvielfalt ist - Sortenbestimmung rege genutzt.

Hundert und ein Apfel: Der Streuobsttag in Märkt in der Altrheinhalle gab wieder einmal einen Einblick in die Vielfalt alter Streuobstwiesen. Nicht nur viele alte Apfelsorten und Birnensorten waren ausgestellt - ein Schwerpunkt lag diesmal bei Vorträgen zur Pflege und Förderung von Streuobstwiesen und das dortige Artenvorkommen.

Die am Streuobsttag beteiligten aktiven Naturschutzgruppen und -initiativen informierten an Ständen über die Pflege der Wiesen und die Erzeugnisse aus ihren Produkten. Ortsvorsteher Stefan Hoffmann eröffnete den Streuobsttag und freute sich, dass Märkt die Kulisse für das Ereignis stellen konnte.

Einer der ersten Anlaufpunkte für die vielen Besucher war der Stand des Pomologenvereins mit Werner Nussbaum, Hermann Schreiweis und Thorald Bauer. Hier standen die Besucher, die in Tüten und Taschen ihnen unbekannte Apfelsorten dabei hatten, Schlange für eine Bestimmung. "Wir dachten, das wäre eine gute Gelegenheit, mal zu erfahren, was man da schon seit Jahren isst", meinte ein Ehepaar aus Maulburg. Bestimmt wurde zum Beispiel ein "Ulmer Polizeiapfel", eine uralte Sorte, die äußerst lecker schmeckt "und jetzt wieder beworben werden soll", so Nussbaumer. Warum denn der Name Polizeiapfel? Da war allgemeines Rätselraten angesagt, vermutlich waren die Kopfbedeckungen der Polizisten in Ulm zu der Zeit, als der Apfel benannt wurde, rot, lautete die wahrscheinlichste Erklärung. Ein "Roter Augustiner" war der nächste Apfel, der aus einem verwilderten Garten mitgebracht worden war. Die Sorte stammte ursprünglich aus dem Luxemburgischen und ist lange haltbar. Ebenfalls ein lange lagerbarer Apfel ist der "Christkindler", feuerrot und früher im Elsass gerne als Christbaumschmuck verwendet.

Den alten Apfelsorten aber ist eines gemein: "Sie schmecken alle total unterschiedlich, der Prinzenapfel nach Muskat, der Gelbe Richard nach Marzipan, die Champagner Renette nach längerer Lagerung wirklich nach Champagner. Und wonach schmeckt ein Jonagold? Höchstens nach Zuckerwasser in Schale, langweilig eben", urteilte Nussbaum.

Das Trinationale Umweltzentrum informierte zum "Hotspot der Artenvielfalt", dem Tüllinger Berg. Astrid Deek berichtete hier, dass sich schon Personen gemeldet haben, die am Fuß des Tüllingers noch verwilderte Flächen für die Pflege zur Verfügung stellen wollen. "Großes Interesse gibt es bei Pachtnachfragen für Gärten - gerade junge Leute interessieren sich dafür", stellte sie fest.

Für den Landschafterhaltungsverband Landkreis Lörrach war Sigrid Meineke vor Ort. "Allmählich tut sich was in Sachen Landschaftspflegeverträge und bei Umsetzung von Managementplänen - es spricht sich herum, was der Verband macht, aber es ist viel Überzeugungsarbeit", hielt Meineke fest. Nach wie vor ist sie ständig auf der Suche nach brachliegenden Flächen, die sich für pflegerische Arbeiten als Naturkorridore nutzen lassen.

Über 100 alte Apfelsorten dazu auch etliche alte Birnensorten gab es auf der Streuobsttag in Märkt zu sehen. | Foto: Jutta Schütz
Über 100 alte Apfelsorten dazu auch etliche alte Birnensorten
gab es auf der Streuobsttag in Märkt zu sehen.
Foto: Jutta Schütz

Streuobstprodukte besser vermarkten

Der BUND warb zusammen mit französischen Naturschutzvertretern für Streuobstwiesen im Sinn der Erhaltung der Artenvielfalt auch anderer Pflanzen und seltener Tiere - hier vor allem für die Wiederansiedlung des Steinkauzes.

Diejenigen, die Streuobstprodukte verkaufen, votieren dafür, dass man die Werbung für die besonderen Erzeugnisse verbessern muss. Streuobsttage wie der in Märkt sind dabei ein gutes Forum. Imker Markus Strauß berichtete zu verschiedenen Honigprodukten und beantwortete Fachfragen zur Imkerei. Edelbrandsommelier Ralf Mehlin und Helmut Häfelinger aus dem Eggenertal, der ebenfalls einen Großteil seiner hochwertigen Brände aus Streuobst herstellt, erläuterten Verkaufsmöglichkeiten für Edelbrände aus Äpfeln, Birnen, Quitten, Kirschen, Zibärtle und mehr. "Wer gute Produkte wertschätzt, der sollte zumindest gelegentlich auf Produkte aus Streuobstwiesen zurückgreifen, die ganz anders schmecken als das, was an Mainstream zu haben ist", waren die beiden sicher. Wolfgang Sprichs Teststand ging ebenfalls in diese Richtung. Bei ihm konnte man viele sortenreine Apfelsäfte aus den unterschiedlichsten alten Apfelsorten probieren und überdies verschiedene Marmeladen und Gelees erwerben. Die Baumschule Ganter stellte nachgezogene alte Obstsorten vor, die jetzt wieder als Jungpflanzen in Gartenanlagen gesetzt werden können.

Der Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg (LOGL) mit Kreisobstbauberater Klaus Nasilowski, Gert und Iris Willmann hielt Geschmacksproben aus neuen Apfel- und Birnensorten für den Erwerbsobstbau bereit. Gekreuzt waren die Sorten "Karneval" oder "Mairac" aus bekannten Sorten. Für Biobetriebe gab es die Apfelsorte "Natyra", die "Novembra" Birne - fest und saftig - stammt aus Moldawien.

© 2015 Badische Zeitung

Artikel vom 4. November 2015,
©2015 Badische Zeitung

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18.10.2015

Schmackhaft wie Krügers Dickstiel

Süß und saftig sollen sie sein, denkt man. Doch Kenner wie Pomologe Werner Nussbaum verraten, dass Äpfel viel mehr können. Die einen schmecken nach Ananas, andere nach Muskatnuss, Marzipan, Waldmeister oder nach Zitrone. Wer sie einmal probiert hat, der will die alten Sorten erhalten.
...

Von Mechthild Harting

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Mechthild Harting © 2015 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung


05.10.2015

Obsthof am Steinberg Nieder-Erlenbach

Geschmacksexplosionen beim Apfelfest

Der Obsthof am Steinberg in Nieder-Erlenbach feiert das traditionelle Apfelfest. Apfelzüchter und Besucher erfreuen sich an regelrechen "Geschmacksexplosionen", wie es eine Apfelproduzentin ausdrückt.

Sie heißen Kardinal Bea, Königlicher Kurzstil oder Goldparmäne. Sie schmecken anders, sie sehen anders aus und sie fühlen sich ganz anders an als die gewöhnlichen Supermarkt-Äpfel wie Elstar, Breaburn oder Jonagold. Viele von ihnen glänzen zwar weniger oder sind rauher, dafür schmecken sie intensiver. Zu Bestaunen gab es die ungewöhnlichen Früchte am Wochenende auf dem Obsthof am Steinberg in Nieder-Erlenbach. Dort hegt und pflegt Inhaber Andreas Schneider auf seinem 15 Hektar großen Gelände dutzende seltene Apfelsorten.

Seit 1999 feiert Schneider einmal im Jahr ein Apfelfest auf seinem Hof - so auch 2015 am 3. und 4. Oktober. An Holzbänken zwischen den Obstbäumen können die Gäste dann von den rund 50 verschiedenen Apfelweinen probieren und Zwiebelkuchen, Handkäs oder weitere Leckerbissen genießen. Von Jahr zu Jahr hat sich das Fest weiterentwickelt, es lockt inzwischen Besucher aus der ganzen Region an. Zusätzlich gibt es einen kleinen Markt mit Kunsthandwerk.

Dieses Jahr ist auch Angela Römer-Zeibig mit ihrer Baumschule Rinn mit von der Partie. Sie züchtet und veredelt viele der alten Apfelsorten. "Die Leute wissen gar nicht, was für ein Geschmacksexplosion Äpfel auslösen können", sagt Römer-Zeibig. Für eine "Geschmacksexplosion" sorgt beispielsweise der "Edelborsdorfer", eine der derzeitigen Lieblingssorten von Schneider, mit seinem spritzigen weinsäuerlichen Geschmack.

Das Herzstück des Apfelfests auf dem Obsthof am Steinberg ist die Obstsortenschau, die Schneider dieses Jahr zusammen mit der Landesgruppe Hessen des Pomologenvereins organisiert. Über 100 Sorten Äpfel jeglicher Couleur, Größe und Form gibt es zu bestaunen - und auch ein paar Birnensorten und Quitten sind dabei.

120 Sorten in der Region

"Rund 50 bis 100 Apfelsorten wachsen durchschnittlich in einer Region", sagt Werner Nussbaum, der Vorsitzende der hessischen Pomologen. Im Raum Frankfurt seien es sogar um die 120, doch wie lange es diese Vielfalt noch gebe, sei unklar. Denn rund 100 000 Apfelbäume müssten jedes Jahr in Hessen gepflanzt werden, damit der Bestand erhalten bleibe - und das geschehe bei Weitem nicht, sagt der Pomologe.

Viele alte Apfelsorten wachsen aber auch in privaten Gärten, ohne dass die Besitzer wissen, um welche es sich handelt. So ist es etwa bei Elfride und Georg Ort aus Dreieichenhain. Um zu wissen, was in ihrem Garten wächst, haben eine Tüte mit grüngelblichen, mittelgroßen Äpfeln mitgebracht und legen sie Nussbaum vor. Der Apfelkenner braucht nur wenige Augenblicke, dann steht das Ergebnis fest: Im Garten der Orts wachsen Champagner- Renetten.

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Michael Rebmann, Freier Mitarbeiter © 2015 Frankfurter Rundschau

Artikel vom 05. Oktober 2015,
©2015 Frankfurter Rundschau


24.09.2015

Apfelernte

Ohne Streuobstwiesen keinen Apfelwein

In diesem Herbst gibt es Äpfel en masse. Doch Pomologen sorgen sich um die Sortenvielfalt und um den Erhalt der Bäume.

Nicht einmal Pomologe Werner Nussbaum kann erklären, warum ausgerechnet in diesem Jahr an den Bäumen so viele Äpfel hängen. Er kann wie andere Apfelexperten nur feststellen, dass die Ernte gut werden wird. Überraschend gut für das im Sommer zu heiße und trockene Wetter. Nussbaum, der sich vor allem mit traditionellen Apfelbaumsorten beschäftigt, weiß aus Erfahrung, dass die alten Sorten nur in jedem zweiten Jahr Früchte tragen. Erst Neuzüchtungen wie etwa Topas-Äpfel könnten jedes Jahr geerntet werden. Doch nicht einmal die Regel, die für die alten Sorten gilt, scheint in diesem Jahr Bestand zu haben. Nussbaum kennt Bäume, die im vergangenen Jahr viele Früchte hatten und in diesem gleich noch einmal voll hängen. "So ist das mit der Natur", sagt er.

Der Umfang der Ernte ist für Nussbaum aber eher nachrangig, ebenso wie für Gerhard Weinrich, den Vorsitzenden des Vereins, der in Seckbach das Streuobstzentrum Mainäppelhaus betreibt. Mit Herzblut und ehrenamtlichem Engagement kämpfen die beiden Männer, dass die noch vorhandenen Streuobstwiesen erhalten bleiben und damit der Fortbestand der historischen Apfelsorten gesichert wird.

Jonagold ist "Zuckerwasser in Schale"

"Mein Urenkel soll den Geschmack alter Sorten überhaupt noch kennenlernen", sagt Nussbaum und schwärmt von der Vielfalt der Aromen, verweist auf das verlorengegangene Wissen um die historischen Sorten und deren richtige Erntezeit, die je nach Apfel zwischen September und Januar liege. Moderne Züchtungen wie ein Jonagold seien zwar beliebte "Kinder-Fress-Äpfel", doch eigentlich handele es sich um "Zuckerwasser in der Schale".

Der 2003 gegründete Verein Mainäppelhaus, der von Weinrich initiiert wurde und zu dessen Mitgliedern Nussbaum seit der ersten Stunde zählt, hat sich zum Ziel gesetzt, praktische Hilfe für jedermann anzubieten, um die Streuobstwiesen zu erhalten. "Unser Bemühen war, die Renaissance der Streuobstwiesen zu erreichen", sagt Weinrich. Der Bergen-Enkheimer erinnert sich an den zwischenzeitlichen Niedergang des größten zusammenhängenden Streuobstwiesengebiets Hessens, das sich vom Berger Nordhang bis nach Maintal-Wachenbuchen erstreckt. Damals verwilderten die Gärten, das Obst fiel ungenutzt von den Bäumen, die Kinder der Grundstückseigentümer hatten kein Interesse mehr an den Parzellen.

Pflege jahrhundertealter Kulturlandschaft

Inzwischen hat das Mainäppelhaus mit seinem Projekt "Äppelnetz" die Nutzung von 45 Gärten an junge Familien vermittelt. Im Zentrum am Lohrberg gibt es nicht nur junge Bäume zu kaufen und Maschinen auszuleihen, sondern auch Informationen über den richtigen Obstbaumschnitt. Besucher erfahren, wie man senst und dengelt, und können einen Marmeladenkochkurs unter dem Titel "Wie das Obst in das Glas kommt" belegen.

Heute, zwölf Jahre nach Gründung des Mainäppelhauses, stellt Weinrich eine "Rückbesinnung auf die Pflege der jahrhundertealten Kulturlandschaft im Rhein-Main-Gebiet" fest. "Das sieht man richtig in der Landschaft", und er spüre es an der Nachfrage. Junge Leute wollten nicht nur Wiesen bewirtschaften, sondern interessierten sich für die historischen Sorten, wollten sie pflanzen und hofften auf hohe Erträge für den selbstgepressten Saft, für den ersten eigenen Apfelwein.

Oft falsche Sorten auf den Wiesen gepflanzt

Weinrich und Nussbaum sind stolz auf das Erreichte, es reiche nur nicht. Die Kartierung der Bäume am Berger Südhang, die Nussbaum im Auftrag des Umweltamts und des Mainäppelhauses vorgenommen hat, zeigt, dass dort zwar 4700 Bäume stehen. Doch zwei Drittel der Gehölze seien zwischen 100 und 120 Jahre alt. "In 20 bis 25 Jahren ist von diesen Altbeständen nichts mehr da." Mehr als 30 Jahre lang habe man sich zu wenig um Wiesen und Bäume gekümmert und, wenn doch, vielfach die falschen Sorten gepflanzt.

"Woher wollen die Keltereien dann ihre Rohprodukte für Saft und Apfelwein nehmen?", fragt sich Nussbaum und macht die Keltereien selbst für die Entwicklung verantwortlich. "Es muss sich wieder lohnen, sich zu bücken." Wer fünf Euro für den Zentner Äpfel zahle, dürfe sich über mangelndes Interesse nicht beklagen. "Zehn Euro der Zentner, das wäre ein Anfang." Dann werde die Streuobstwiese tatsächlich einen Sieg feiern gegen das Apfelsaftkonzentrat, das in Schiffen aus China transportiert werde und 30 Prozent des hiesigen Verbrauchs ausmache.

Weinrich wünscht sich mehr Hilfsangebote, und zwar für alle Streuobstwiesenbesitzer in Frankfurt. Schließlich gebe es auch am Heiligenstock, im Schwanheimer und im Sossenheimer Unterfeld große Streuobstwiesenbestände. In Frankfurt machen die Wiesen 1,4 Prozent des Stadtgebiets aus. Es müsse eine Art Mainäppelhaus für ganz Frankfurt geben, fordert Weinrich. Er sieht auch das Land stärker in der Pflicht. Baden-Württemberg sei vorbildlich und investiere.

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Mechthild Harting © 2015 Frankfurter Allgemeine Zeitung

Artikel vom 24. September 2015,
©2015 F.A.Z.


16.09.2015

Loblied aufs Streuobst

Das Netzwerk BioFrankfurt ehrt den Apfel - und wird selbst von den Vereinten Nationen geehrt

Ein Preis für BioFrankfurt: Das Umweltnetzwerk ist als offizielles Projekt der UN-Dekade für biologische Vielfalt ausgezeichnet worden. Am Dienstag überreichte Christiane Paulus, Leiterin der Unterabteilung Naturschutz im Bundesumweltministerium, einen "Vielfalt-Baum" als Zeichen der Würdigung an den BioFrankfurt-Vorsitzenden Matthias Jenny und den Sprecher Bruno Streit.
Das Frankfurter Netzwerk vieler Umweltorganisationen sei "ein Modell von herausragender und bundesweiter Bedeutung für das Biodiversitätsmanagement", lobte Paulus. Die Vereinten Nationen haben das Jahrzehnt zur UN-Dekade für Biodiversität erklärt. Die Welt wird damit aufgefordert, sich für Vielfalt einzusetzen.
Das tut BioFrankfurt, gegründet 2004, auch durch die Bekanntgabe einer sogenannten Biozahl in jedem Jahr. Für 2015 lautet diese Biozahl: 10.000 - mindestens so viele Obstbäume stehen im größten Streuobstwiesengebiet Hessens bei Bergen und Maintal. Wie viele es genau sind, zählt der Pomologe Werner Nussbaum mit seinem Team seit 2006 im Auftrag des Umweltamts und mit Unterstützung des Mainäppelhauses. Das Werk ist demnächst beendet, die Kartierung geht zügig voran; dann haben die Fachleute erstmals einen Gesamtüberblick übers Streuobst.
Das wird auch Zeit, sagt Werner Nussbaum. Bei seiner Arbeit habe er festgestellt: "Viele Bäume sind schon erschreckend alt. Es wurde viel zu lang versäumt, etwas für den Erhalt dieser Arten zu tun." Denn die Streuobstwiese sei ein Ort größter genetischer Vielfalt. Es komme vor, dass er auf Einzelbäume stoße, die es sonst nirgends mehr gebe. Dann gelte es, schleunigst zu veredeln, sonst sei die Sorte in wenigen Jahren verschwunden, der Geschmack verloren für alle Zeit.

Edle alte Sorten

Gerade die alten Sorten seien die edelsten, etwa der Gravensteiner aus dem 17. Jahrhundert und der Heuchelheimer Schneeapfel, der seinen Namen daher hat, dass er nicht dunkel wird, wenn man ihn anschneidet. Der hohe Vitamin-C-Gehalt macht's möglich. Und er schmeckt hervorragend, wie Nussbaum mit Kostproben beweist, übrigens zur Feier des Tages im Goethe-Garten des Palmengartens. Im Vergleich mit solch edlen alten Sorten, sagt Nussbaum, seien die heutigen Supermarkt-Züchtungen wie Gala oder Jona Gold oft "Zuckerwasser in der Schale".
30 Prozent des Apfelsafts würden inzwischen aus China als Konzentrat importiert, berichtet der Pomologe. Dass nicht alles aus heimischem Anbau kommt, habe Gründe: Keltereien zahlten zu wenig fürs Streuobst; und in Hessen gebe es nur noch rund eine Million Apfelbäume. Um auf die Bestände von einst zu kommen - 15 Millionen - müssten jedes Jahr 100.000 gepflanzt werden.

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ill © 2015 Frankfurter Rundschau

Artikel vom 16. September 2015,
©2015 Frankfurter Rundschau